Breitere Diskussion über Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Triage gefordert - Bessere Versorgungsbedingungen würden zur Entspannung der Situation führen

29.12.2021

Nürnberg. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Regelung der Triage sorgt in den Reihen der deutschen Anästhesisten für Diskussionen: „Grundsätzlich begrüßen wir den Richterspruch“, lautet die Stellungnahme des „Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten“ (BDA) und der „Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin“ (DGAI). „Wir sehen es jedoch sehr kritisch, dass ärztliche Therapie gesetzlich geregelt werden soll. Gesetzliche Präzisierungen der ärztlichen Behandlung sollten gemeinsam mit uns gestaltet werden."
Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, Intensivpatienten mit bestimmten Vorerkrankungen und Beeinträchtigungen in einer Pandemie besser zu schützen. Es geht um den Fall, dass auf der Intensivstation nicht genügend Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und eine Triage erforderlich wird. Nun könnte es sein, dass der Bundestag den Ablauf einer Triage generell regelt. Das würde die Anästhesiologie besonders betreffen, weil sie auf den Intensivstationen und auch in der Pandemie den größten Teil des ärztlichen und pflegerischen Personals stellt.

Kompetenz von Ärztinnen und Ärzten nicht antasten oder in Frage stellen

BDA und DGAI sind dafür, dass ärztliches Handeln durch Gesetze abgesichert wird: „Das hat sich in der Regel bewährt“, stellt BDA-Präsident Professor Dr. Götz Geldner fest. Nach Ansicht der beiden Verbände ist es jedoch problematisch, die Kompetenz von Ärztinnen und Ärzten anzutasten oder in Frage zu stellen, medizinische Entscheidungen zu treffen: „Hinzu kommt, dass Merkmale wie Religion, Handicap, Herkunft, Impfverhalten oder Sozialstatus für keine Ärztin und keinen Arzt eine Rolle spielen würden bei einer Entscheidung für oder gegen die Fortsetzung einer Therapie“, so Geldner weiter.

Behinderung kein Maßstab im Therapieplan

Es gehe einzig und allein um die Heilungschancen, die ein Patient hat und die allein aufgrund der medizinischen Kenntnisse und Erfahrungen bewertet werden. Es sei immer schon undenkbar gewesen, eine Behinderung in einem Therapieplan zum Maßstab zu machen! „Die Entscheidung für oder gegen die Fortsetzung einer Behandlung auf der Intensivstation wird außerdem niemals von einem Arzt allein, sondern immer in einem größeren Team von Experten getroffen, so dass wirklich alle relevanten Entscheidungskriterien gesammelt und abgewogen werden“, macht DGAI-Präsident Professor Dr. Frank Wappler zusätzlich deutlich. Dies sei ein grundlegendes Prinzip in der Intensivmedizin und das habe so auch Gültigkeit in der Corona-Pandemie.

Erörterungen mit Politikern, Medizinern, Juristen und Bürgern

„Wir können die Diskussion und die Regelung einer Triage nicht allein der Politik überlassen“, betont BDA-Präsident Geldner. Er setzt sich für eine breite Erörterung der Fragen mit Politikern, Medizinern, Juristen, aber auch insbesondere mit Bürgerinnen und Bürgern ein: „Nur so werden neue Regeln am Ende verstanden und eine breite Akzeptanz finden.“ Man brauche diese Diskussion - und die Anästhesisten wollten sich dieser Diskussion auch gerne stellen und sich daran beteiligen.
Zusätzlich müssten für die Zukunft Bedingungen geschaffen werden, dass ausreichend Behandlungskapazitäten und Personal für alle Patienten vorhanden sind und solche Diskussionen erst gar nicht so in den Vordergrund rücken: „Die gegenwärtige Diskussion beruht letztlich auf einem eklatanten Personalmangel. Daher ist es unverzichtbar, schnellstmöglich Bedingungen zu schaffen, dass ausreichend Behandlungskapazitäten und Personal für alle Patienten zur Verfügung stehen. Nur so lassen sich eine Triage sowie auch die Priorisierung und Verschiebung von Operationen verlässlich vermeiden.“
Derzeit ist unklar, ob eine Triage in dieser Corona-Pandemie überhaupt noch angewendet werden muss. Trotz der raschen Ausbreitung der Omikron-Variante geht die Zahl der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen derzeit bundesweit leicht zurück. Immer noch könnten Patienten aus Regionen mit vollständig belegten Betten in Gebiete mit freien Kapazitäten verlegt werden